Taufsprüche für
Lara: Alle Dinge sind möglich dem,
der da glaubt. (Mk 9,23) + I'd rather be hated for who I am, than loved for who I am
not. Kurt Cobain Ich wäre lieber gehasst für das, was ich bin, als
geliebt für das, was ich nicht bin.
Finnley: Barmherzig und
gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte. Ps. 103,8
Liebe Gemeinde,
der Lüneburger Theologe und Schriftsteller Rainer Haak beschreibt, dass
er dem Lebendigen begegnete und zu leben begann. Mit dem Lebendigen ist
Christus gemeint. Rainer Haak hatte es schon aufgegeben, Ostererfahrungen zu
machen, so wie er sich vorstellte, dass es klappen und funktionieren könnte. Er
dichtet:
Ich dachte, ihn zu finden
in umfangreichen1
Bibliotheken,
wo ich nur an der richtigen Stelle
nachschlagen müsste.
Ich dachte, ihn zu finden
in Anweisungen und Gesetzen,
die ich nur treu und gewissenhaft
befolgen müsste.
Aber sein Ansatz, sein Plan ging nicht auf. Er ging leer aus. Und dann
bemerkte er, dass gerade dies half: eigene Vorstellungen aufzugeben, wie er den
Auferstandenen entdecken und erleben könnte.
Ich dachte nicht mehr...,
schreibt er, ich dachte nicht mehr // ihn zu finden – und begegnete dem
Lebendigen und begann zu leben.
Vielleicht hilft uns diese Erkenntnis ja auch, wenn wir prüfen wollen:
Lebt Christus oder ist er im Grab geblieben? Vermutlich werden wir nicht durch
uralte Bücher oder neueste wissenschaftliche Theorien herausfinden, ob er lebt.
Man kann nicht an der richtigen Stelle nachschlagen und sagen: Ich weiß jetzt,
Auferstehung ist Unsinn oder Auferstehung stimmt. Und man kann wohl auch nicht
dem Lebendigen auf die Spur kommen, indem man ganz treu und gewissenhaft
kirchlich ist und alles so macht, wie es seit Jahrhunderten gemacht wird.
Jedenfalls hat es für Rainer Haak so nicht funktioniert.
Rainer Haak würde sagen: Man muss eigene Erwartungen und Vorstellungen
aufgeben, loslassen. Das Fromme loslassen, aber genauso loslassen das scheinbar
so wissenschaftlich objektiv Aufgeklärte. Und wenn man nicht mehr damit
rechnet, dass sich die Frage klärt, ob der Christus lebt oder im Grab geblieben
ist, dann kann es überraschend geschehen: Der Lebendige begegnet dir! Und du
beginnst zu leben. Vielleicht kann man diese Erfahrung auch umkehren und sagen:
Du beginnst zu leben und bemerkst dabei, wie sehr du schon Christus im Herzen
trägst. Ich glaube, Rainer Haak würde dem zustimmen.
Wann beginnt man zu leben? Man beginnt zu leben, wenn Leben in das Leben
kommt.
André Böhmer (Name von der „Predigtredaktion“ geändert) … André ist
Mitte zwanzig und arbeitet beim Finanzamt. Er ist ein ruhiger und besonnener
Mensch. Schon in der Schule gehörte er nicht zu den lauten Alphamännlein in der
Klasse, die sagten, wo es langging. Er stand oft abseits auf dem Schulhof
während der Pause und hatte nur einen guten Freund in der Klasse. Und so blieb
es auch später im Beruf. Er war nicht der Entertainer während der Kaffeepause,
aber er hatte eine Kollegin, die seine Aufrichtigkeit und Bescheidenheit schätzte.
Die anderen nahmen ihn im Grunde nicht wirklich wahr. Sie hielten ihn für einen
etwas seltsamen Einsiedler in der Abteilung. Er erledigte zwar seine Arbeit
zuverlässig, aber er spielte in der Gemeinschaft am Arbeitsplatz keine Rolle.
Und darum war er eigentlich Luft für sie; und er merkte es auch. Es war halt
wie immer schon: nichts anderes als in der Schule. Er hatte sich dran gewöhnt.
Dennoch sehnte er sich danach, mehr akzeptiert zu werden wie er war und auch
teilzuhaben an der Gemeinschaft in der Abteilung. Er sprach darüber mit seiner
verständnisvollen Kollegin, die ihn mochte. Die riet ihm: Du kannst hier auf
den Sturz nichts ändern. Probier dich einmal aus, in einem Sportverein oder in
einer Kirchengemeinde. Das sind andere Leute, die dich noch nicht
kennen. Geh da etwas mehr aus dir heraus. Lerne, dich zu trauen. Sag mal was in
die Runde. Zieh die Aufmerksamkeit hin und wieder auf dich. Und du wirst
merken, dass sich langsam auch hier etwas ändern wird: Dass du mehr
wahrgenommen und akzeptiert wirst.
Sport war nun ganz und gar nicht Andrés Ding. Da wär er schon lieber in
ein Internetcafé gegangen. Aber dort war man auch allein unter vielen. Also
besuchte er einen Gottesdienst in der Kirchengemeinde im benachbarten
Stadtteil. Ihm gefiel, dass er sich still in die Reihe setzen durfte, ohne dass
jemand ihn gleich ansprach. Atmosphäre schnuppern ganz für sich erst mal, das
brauchte er. Und auch am Ende des Gottesdienstes nahm ihn niemand in Beschlag.
Er fühlte, dass er seinen ersten Probelauf bestanden hatte und entschied,
weiter Präsenz zu zeigen an anderen Sonntagen. Die Pastorin hatte ihn
freundlich verabschiedet an der Kirchentür. Das hatte ihm gefallen und
motivierte ihn zuätzlich, wieder zu kommen. Er ging jeden zweiten Sonntag hin
und nahm auch zum ersten Mal in seinem Leben am Kirchencafé nach einem
Gottesdienst teil. Die Leute standen um Stehtische und er hatte sich einer
Gruppe von 5 Gemeindegliedern zugesellt: den Kaffeebecher fest umklammert. Er
probierte den Rat der Kollegin aus und wagte einen Vorstoß: Ich heiße André
Böhmer und bin neu hier. Wie oft bieten Sie eigentlich Kirchencafé in Ihrer
Gemeinde an? Damit hatte er die Aufmerksamkeit der Fünf geweckt. Alle
stellten sich ihm mit Namen vor und zwei erklärten ihm, wie die Idee mit dem
Kirchencafé entstanden war und wer es organisierte. Danach ergaben sich weitere
Gesprächsthemen und zwei oder drei der Umstehenden blieben immer mit ihm im
Dialog. Diese Erfahrung wiederholte sich bei jedem Kirchencafé, obwohl er
niemals mit denselben zusammenstand wie beim ersten Mal. Ihm gefiel die nicht
drängende, aber schwebende Aufmerksamkeit, die ihm entgegengebracht wurde. Und
er spürte, dass er sich hier in dieser Atmosphäre aktiver einbringen mochte als
auf der Arbeit. Hier umgab ihn Geduld und Güte. Das baute ihn auf und schenkte
ihm auch Mut, er selbst zu sein und etwas von sich preiszugeben. Er hatte am
Stehtisch des Kirchencafés das Gefühl: Ich darf sein, wie ich bin:
zurückhaltend und etwas schüchtern, aber ich bin so willkommen. Er nahm wahr,
dass ihn niemand in eine aktivere Rolle drängen wollte. Das empfand André als
fair. Mittlerweile verstand er auch besser den kirchlichen Sprachjargon.
Schmunzelnd musste er denken: Neudeutsch fair würde wohl auf altdeutsch
kirchlich heißen: barmherzig. Es überraschte ihn dann aber doch, dass er
selbst so positiv reagieren mochte und sich ohne Anstrengung am Gespräch hier
und da beteiligte, wenn wieder ein Kirchencafé stattfand. Hier kommt Leben
in mein Leben, dachte er. Wo ich keine Rolle spielen muss, wo ich sein
darf, wie ich bin, wo niemand dominiert und sich verdrängend in der Vordergrund
spielt, da mag ich mehr aus mir herauskommen. Zu Hause überlegte er öfter,
ob es einen Zusammenhang gab zwischen seiner angenehmen Erfahrung beim
Kirchencafé im Zusammensein mit den anderen Gottesdienstbesuchern und dem
spirituellen Ansatz der Pastorin, die immer wieder hervorhob in der einen oder
anderen Predigt: Gott ist gnädig und barmherzig. Das habe Jesus stets
vorgelebt. Und Gott will, dass Menschen sich nicht verbiegen müssen. Auch das
hatte Jesus vorgelebt. Einige hatten ihn zwar gehasst für das, was er war. Die
Pharisäer und Schriftgelehrten vor allem. Aber Jesus hatte sich nicht
aufgegeben und etwas vorgespielt, was er nicht war, um geliebt zu werden.
Gerade dies gab André Mut, zu sich zu stehen. Das inspirierte ihn, mit sich
selbst und seiner persönlichen Art in den Ring zu steigen und mehr von sich
mitzuteilen. Irgendwann sagte er mal seiner Kollegin: Ich danke dir für
deinen Tipp, nicht im Finanzamt, sondern woanders auszuprobieren, ob ich eine
Präsenz in einer Gruppe haben kann. Als ihn seine Kollegin noch etwas
skeptisch, aber wohlwollend anblickte, meinte er strahlend „Ich hab zu leben
begonnen“. Dann berichtete er von seinen Erfahrungen in der Gemeinde des
Nachbarstadtteils.
André hat zu leben begonnen, liebe Gemeinde. Oder man könnte auch sagen:
In sein Leben ist Leben gekommen. Damit hatte er selbst vielleicht am
allerwenigsten gerechnet. Ob er seine Erfahrung deuten würde wie Rainer Haak,
dass er dem Lebendigen begegnet ist? Dem Lebendigen begegnet ist mit den
Erfahrungen im Kirchencafé? Immerhin hatte André Mut geschöpft aus der
Darstellung der Pastorin, dass Jesus einer war, der sich nicht aufgegeben hatte
gegenüber den Schriftgelehrten und Pharisäern. Jesus hatte nichts vorgespielt
und sich nicht angepasst. Er gab nicht etwas vor, was er nicht war, um geliebt
zu werden. Er lebte seine innere Wahrheit. So kommt Leben ins Leben!
Natürlich kann man Andrés Erfahrung auch rein psychologisch deuten als
positive Gruppenerfahrung. Und dagegen möchte ich auch nichts stellen. Aber tun
wir uns einen Gefallen damit, nur das Psychologische gelten zu lassen und nicht
auch das Religiös-Spirituelle? Ich glaube, das Eine schließt das Andere nicht
aus. So könnte man also auch sagen: André ist dem Lebendigen begegnet. In der
Gegenwart der handelnden Menschen am Stehtisch des Kirchencafés. Und zu Hause
in seinem persönlichen Nachdenken darüber, wer Jesus war. Dieses Nachdenken
über Jesus hatte ihn ja inspiriert, mit sich selbst und seiner persönlichen Art
in den Ring zu steigen und mehr von sich mitzuteilen.
Andrés Erfahrung ist nur e i n Beispiel von vielen möglichen, die wir
heute hätten bedenken können, liebe Gemeinde. Es war mir wichtig, statt vieler
Beispiele Andrés Werden ausführlich im Detail zu schildern. Greifen wir zum
Schluss noch einmal die Frage auf: Lebt Christus oder ist er im Grab geblieben?
Rainer Haak würde wohl sagen: Man muss eigene Erwartungen und feste
Vorstellungen aufgeben, loslassen. Frei werden dafür, dass Leben ins Leben
kommt. Und wenn du das Religiös-Spirituelle nicht ausschließt, kannst du auch
die Spuren des Christus auf deinem Weg entdecken, die Spuren des Lebendigen,
der dir begegnen will. Amen
1Wörtlich muffigen